Rot-grüner Koalitionsvertrag: Eine Mischung aus Licht und Schatten
Pressemitteilung24. April 2025
Artikel lesen
Wir kämpfen dafür, dass alle Beschäftigten von guter Arbeit profitieren – heute und in Zukunft.
Gute Arbeit ist nach unserer Definition existenzsichernd, entgeltgleich, tarifgebunden, mitbestimmt, sozialversichert und unbefristet. Sie schafft Karrierechancen, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten und stärkt die individuellen Erwerbsbiografien. Sie macht nicht krank, verbindet Privates und Beruf, ist alters- und alternsgerecht. Sie wälzt unternehmerische Risiken nicht auf Beschäftigte ab, sondern schützt umfassend vor wirtschaftlichen Gefahren und vermeidet Erwerbs- und Altersarmut sowie Lohn- und Sozialdumping. Wer den Fachkräftebedarf in den Griff bekommen will, muss sich diese Kriterien zum Maßstab nehmen.
Hamburg ist eine reiche Stadt – zumindest für einige wenige. Während die Zahl der Einkommensmillionäre immer weiter steigt, ist jede fünfte Person in Hamburg von Armut bedroht. Besonders armutsgefährdet sind in Hamburg Erwerbslose, Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Diese Spaltung zwischen Arm und Reich gefährdet den sozialen Zusammenhalt in unserer Stadt. Aktuell verdient knapp jeder Fünfte in Hamburg weniger als 14 Euro pro Stunde, was angesichts der hohen Mieten oft nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt gut zu bestreiten. Weil Tariflöhne vor Armut schützen, ist die Stärkung der Tarifbindung von Unternehmen eine der wirksamsten Maßnahmen gegen Armut.
Laut IAB-Betriebspanel arbeitet in Hamburg mit 46 Prozent noch nicht einmal die Hälfte der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Betrieb. Hamburg ist hat die zweitschlechteste Tarifbindung in Westdeutschland und ist sehr weit von der 80-Prozent-Zielmarke der EU-Mindestlohnrichtlinie entfernt, die die Mitgliedsstaaten dazu anhält, eine Tarifbindung von 80 Prozent der Beschäftigten auf den Weg zu bringen. Die geringe Tarifbindung ist mit Blick auf den wachsenden Fachkräftebedarf auch ein erheblicher Standortnachteil für Hamburg.
Die mangelnde Tarifbindung wirkt sich unmittelbar auf die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung aus und verursacht hohe gesamtgesellschaftliche Kosten. Mit einer flächendeckenden Tarifbindung hätten die Hamburger*innen rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr mehr im Portemonnaie. Der Schaden, der allein durch Tarifflucht und Lohndumping der Arbeitgeber in Hamburg entsteht, summiert sich bei den Sozialversicherungen auf jährlich auf 875 Millionen Euro sowie 568 Millionen Euro bei der Einkommensteuer.
Lohndumping im öffentlichen Auftrag darf es nicht mehr geben. Ein wirkungsvoller Hebel zur Stärkung der Tarifbindung ist eine die Einführung eines starken Tariftreuegesetzes. Tariftreue meint, dass öffentliche Aufträge nur Unternehmen ausführen dürfen, die Tarifverträge anwenden. Dies stärkt den Wettbewerb über Qualität und verhindert, dass tarifgebundene Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen haben, die Lohndumping betreiben.
Beim Ausschreibungswettbewerb im öffentlichen Personennahverkehr müssen die Beschäftigten in turnusmäßigen Abständen (Dauer der Ausschreibung) um ihre Arbeitsplätze zittern. Wir fordern, dass in jedem Vergabeverfahren vorgeschrieben wird, dass im Falle eines Betreiberwechsels der neue Betreiber den bereits Beschäftigten in dem betreffenden Verkehrsdienst ein Übernahmeangebot macht. Für die übergehenden Beschäftigten müssen beim neuen Betreiber mindestens die gleichen Arbeitsbedingungen gelten wie beim bisherigen Betreiber, betriebsbedingte Kündigungen sind für die Dauer des Verkehrsvertrages ausgeschlossen. Subvergabeketten sind zu begrenzen und ebenfalls nach Tariftreueregeln zu vergeben.
Auch für die Wirtschaftsförderung muss die Tarifbindung ein verbindliches Kriterium sein. Die weiteren Kriterien von „Guter Arbeit“ - wie die verbindliche Beratung und die Erarbeitung von Qualifizierungskonzepten - sollten regelmäßig in ihrer Wirksamkeit evaluiert werden. Gleiches gilt für EU-Fördergelder: Programme und die europäischen Strukturfonds ESF und ESFE dürfen nur an Unternehmen gehen, die Tarifverträge anwenden.
Nicht zuletzt müssen weiterhin und flächendeckend Zuwendungsempfänger*innen, Projekte und Einrichtungen, die Leistungen im Auftrag des Landes übernehmen, die Tarifsteigerungen ausfinanziert bekommen. Auch sollten die Mehraufwände, die durch betriebliche Mitbestimmung entstehen (Betriebsräte) durch die Fördermittel bzw. Zuwendungen abgedeckt sein.
Mehr zum Thema Tarifbindung findest du hier.
Welchen Arbeitsbelastungen sind die Beschäftigten ausgesetzt? Wie steht es um ihre Weiterbildungsmöglichkeiten? Wie sind Einkommen und Altersvorsorge? Der DGB-Index Gute Arbeit ist ein wissenschaftlich fundiertes Instrument, um die Arbeitswelt aus Sicht der Beschäftigten zu beurteilen. Er liefert wertvolle Daten, um Handlungsbedarfe zu identifizieren – auf betrieblicher und auch politischer Ebene. Im Jahr 2021 wurde erstmals eine repräsentative Befragung von etwa 1.000 Hamburger Arbeitnehmer*innen zu ihren Arbeitsbedingungen mit dem DGB-Index Gute Arbeit durchgeführt. Die Ergebnisse der Befragung wiesen damals aus, dass 48 Prozent der Hamburger Beschäftigten die Bedingungen in ihrem Job im unteren Mittelfeld einordnen oder gar als „schlechte Arbeit“ empfanden. Mit dem „DGB-Index Gute Arbeit“ müssen die Arbeitsbedingungen der Hamburger*innen alle zwei Jahre durch Sonderauswertungen analysiert und verbessert werden.
Wir brauchen die Stärkung der Betriebsräte, die eine zentrale Säule demokratischer Strukturen in Betrieben sind und die Beschäftigte an der Gestaltung von Veränderungen in den Unternehmen beteiligen. Sie stabilisieren Unternehmen und sichern Beschäftigung. Zur Gewährleistung von Mitbestimmungs- und Gestaltungsrechten legte bereits 2022 der DGB gemeinsam mit der Hans-Böckler-Stiftung und Jurist*innen einen Novellierungsvorschlag vor, die auf die großen Veränderungen der Betriebsratsarbeit durch Digitalisierung, Internationalisierung und sozial-ökologischer Transformation reagiert. Wir erwarten von unserer künftigen Landesregierung, diese Novellierung durch eine Bundesrats-Initiative mitzubefördern und damit ein zeitgemäßes Zeichen für demokratisierte Unternehmen zu setzen.
Mehr zum Thema Mitbestimmung und Demokratie findest du hier.
In Hamburg ist die Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen mit immer noch 18 Prozent größer als im Bundesdurchschnitt. Die hohe teils unfreiwillige Teilzeitquote von Frauen durch die ungleiche Verteilung von unbezahlter Sorgearbeit, die schlechtere Bezahlung der Branchen, in denen überwiegend Frauen arbeiten, die nach wie vor geringere Präsenz von Frauen in Entscheidungs- und Führungspositionen – all dies ist im Gleichstellungsmonitor dokumentiert und nur ein Teil der Gründe für den Gender Pay Gap. Zu den Konsequenzen zählen neben der grundsätzlich ungleichen Teilhabe auch ein deutlich höheres Risiko der Verarmung von Frauen vor allem unter Alleinerziehenden, im Alter oder wenn eine Migrationserfahrung hinzukommt. Frauendominierte Branchen wie Dienstleistungen und soziale Berufe brauchen eine deutliche Aufwertung, damit Frauen eine angemessene finanzielle Wertschätzung ihrer Arbeit erhalten. Auch hier kann eine an Tarifverträge gebundene Vergabepraxis ein Lösungsansatz sein. Das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm muss darauf wirksame Antworten bieten. Weiter erwarten wir von einem zukünftigen Hamburger Senat, dass er sich auf Bundesebene etwa durch entsprechendes Wirken im Bundesrat für die Belange von Frauen starkmacht. Ziel hiervon muss die Novellierung des Entgelttransparenzgesetzes und die Umwandlung von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein, damit der Prekarität in diesem Bereich ein Ende gesetzt wird.
Mehr zum Thema Frauen- und Gleichstellungspolitik findest du hier.
Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – das ist kein Nebenthema, sondern eine Kernaufgabe. Denn noch immer kommt es in Hamburg zu schweren Arbeitsunfällen, manche enden tödlich. Das darf nicht sein. Wir als DGB Hamburg setzen uns mit Nachdruck dafür ein, dass Arbeitsorte sicherer werden – für alle Beschäftigten, in allen Branchen.
Ein wichtiger Hebel: der behördliche Arbeitsschutz. Ab 2026 gilt bundesweit die gesetzliche Mindestbesichtigungsquote von fünf Prozent aller Betriebe pro Jahr. Das ist gut – aber nur dann wirkungsvoll, wenn Hamburg auch personell und technisch entsprechend ausgestattet wird. Auch die Folgen des Klimawandels müssen stärker berücksichtigt werden, etwa für Beschäftigte im Baugewerbe oder in der Landwirtschaft. Gleichzeitig stellt die digitale Transformation unsere Arbeitswelt vor neue Herausforderungen. Wie sichern wir die Beschäftigten ab, wenn KI-gestützte Systeme nicht nur unterstützen, sondern auch kontrollieren? Wie steht es um den Arbeitsschutz im Homeoffice? Diese und andere Fragen diskutieren wir in der Arbeitsschutzpartnerschaft, auf Fachtagungen, mit Stellungnahmen und der Mitwirkung in zuständigen Ausschüssen. Unser Ziel bleibt klar: Arbeit darf nicht krank machen – weder körperlich noch seelisch. Dafür braucht es klare Regeln, konsequente Kontrollen und die Stimme der Beschäftigten – organisiert, laut und solidarisch.
Es braucht die effektive Kontrolle der Einhaltung gesetzlicher, vergabespezifischer oder tariflicher Mindestlöhne. Dazu gehört zum einen die Verbesserung der Personalausstattung für die zuständigen Behörden, zum anderen muss der künftige Senat die Abläufe zwischen den verschiedenen Kontrollinstanzen bzw. - Stellen optimieren und koordinieren (Zoll, Gewerbeaufsicht, Arbeitsschutzbehörden, Arbeitsverwaltung, Sozialversicherungen etc.).
Im Auftrag der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration wurde im Jahr 2021 erstmals eine Befragung mit dem DGB-Index Gute Arbeit in Hamburg durchgeführt. Der Auswertungsbericht wurde im Frühjahr 2022 im Rahmen des Hamburger Bündnisses für Gute Arbeit vorgestellt. Die Ergebnisse der Befragung liefern ein Bild der Arbeitsbedingungen der abhängig Beschäftigten in Hamburg.
Die Themenfelder, die im Bericht aufgegriffen werden, sollen den politischen Akteuren Anhaltspunkte für den arbeitspolitischen Handlungsbedarf geben. Schwerpunkte sind z.B. die Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Betrieb, die Arbeitszeitlage, körperliche Belastungen oder die Einschätzungen der Beschäftigten zu Einkommen und Rente.
Der Auswertungsbericht "Index Gute Arbeit" für Hamburg steht hier zum Download zur Verfügung:
Sie haben Fragen oder Anregungen? Sie möchten wegen eines persönlichen Anliegens mit uns in Kontakt treten?
hamburg@dgb.de
Telefon: 040 - 60 77 66 115
24. April 2025
Artikel lesen03. April 2025
Artikel lesen10. März 2025
Artikel lesen13. Januar 2025
Artikel lesen04. Dezember 2024
Artikel lesen